Währenddessen schlafen auch die Roller und Räder sanft dem Feierabend entgegen. Eine große Parkgarage vollgepackt mit Zweirädern - vermutlich sind in Berlin nicht so viele Roller und Mopeds zugelassen, wie hier in der Parkgarage des FPT Konzerns dem Abend entgegenschlummern. Auch wenn die Gehwege der Innenstadt mittlerweile ganz den geparkten Rollern vorbehalten sind - eigentlich ist das strikt verboten. Als ich mein Fahrrad vor einem großen Kaufhaus ganz naiv an einen Baum anschließen wollte, wurde ich energisch in die Parkgarage verwiesen - nur für Zweiräder wohlgemerkt, ähnliche Ausmaße wie im FPT-Hochhaus.
Zurück zum Verkehr: manchmal reagiere ich noch etwas panisch, wenn mir ein Zweirad - in Ausnahmefällen auch ein Auto - auf meiner Spur entgegenkommt. Seit ich selbst solche Abkürzungen nehme, hält sich der Schrecken aber in Grenzen. Der Grund für diese Verhalten, das im Flensburger Katalog nicht mal Erwähnung finden dürfte, weil es in Deutschland ganz unvorstellbar ist, ist ganz einfach: breite Mittelstreifen auf vielen Straßen und keine Berliner U-turns direkt vor einer Kreuzung. Auch erscheint es dem an viele Regeln gewöhnten Deutschen immer noch äußerst rücksichtslos, wenn sich das Einbiegen in eine Vorfahrtstraße ohne einen einzigen Blick nach links vollzieht. Man fädelt sich geschickt - dazu braucht man eine hohe Geschwindigkeit - und ohne den fließenden Verkehr zu beachten in den Strom ein. Vorfahrtstraße? Ich habe vor einigen Tagen versucht, ein Gespräch über Verkehrsregeln zu führen. Ja, es gäbe wohl welche, aber da sie kaum jemand kenne, könne man auch nicht erwarten, dass sie befolgt werden. Einziges NoGo: die rote Ampel in der Hauptverkehrszeit. Ich habe doch tatsächlich bereits beobachtet, dass jemand hinter einer Ampelkreuzung von der Verkehrspolizei (ja, die gibt es) gestoppt wurde. Die Strafe hätte sich der Delinquent ersparen können: über den Bürgersteig brausen und den Zebrastreifen mit dem Roller nutzen ist Gewohnheitsrecht.
Von der hübschen vietnamnesischen Damenwelt ist im Verkehr allerdings wenig zu sehen, gleich bei welchem Wetter. Sie sind vermummt als ginge es zum Ebola-Einsatz. Ob es die Furcht vor der Sonnenbräune oder dem Großstadtdreck ist, weiß ich nicht. Vermutlich beides. Zu sehen sind nur das Handy am Ohr und die zierlichen Stöckelschuhe, für die man in Zentraleuropa bereits einen Waffenschein braucht.
Insgesamt habe ich mich voll dem Verkehr angepasst. Immer eine Hand an der Bremse, nie die Umgebung bewundern sondern immer nur die anderen Verkehrsteilnehmer; so gelangt man ganz entspannt und doch hochkonzentriert ans Ziel. Gelegentlich ertappe ich mich dabei, den chaotischen Verkehr effektiver zu finden, als den bis ins Kleinste geregelten Verkehr in Deutschland. Alle fahren aufmerksam, sonst hat man schon verloren. Bei uns verlässt man sich auf die Regeln, die werden schon alles regeln. Da kann man ruhig einmal eine kleine schöpferische Aufmerksamkeitspause einlegen. Aber die Zahl der Verkehrsopfer spricht dagegen. Vietnam ist eines der Länder mit der relativ höchsten Zahl an Verkehrstoten. Das könnte aber auch an der mangelhaften Ersten Hilfe liegen. Ein Deutscher - ausgebildeter Rettungssanitäter - wurde neulich Zeuge eines Unfalls. Ein Frau war beim Überqueren der Fahrbahn angefahren worden und lag regungslos am Boden. Zwei Männer richteten die Frau auf und schüttelten sie ordentlich durch. Na, geht's wieder? Stabile Seitenlage? Mögliche Wirbelsäulenverletzung? Nie gehört.
Also doch besser kein Unfall.
Dennoch: ich habe mich viel besser an den Verkehr ohne Regeln gewöhnt, als ich das befürchtet hatte. Woran ich mich nicht gewöhnen werde, ist die eine oder andere Speise in Vietnam. Insgesamt ist die Küche schmackhaft und abwechslungsreich. Auf den Braten, den ich gestern auf einem lokalen Markt gesichtet habe, werde ich aber ganz sicher verzichten....